Gemeinsamer „Groove“ vs. persönlicher Ausdruck gibt es ein Zusammenspiel(en)?

Wenn Menschen gemeinsam musizieren oder tanzen, entsteht oft ein intensives Gemeinschaftsgefühl – das, was viele als „Groove“ bezeichnen.

Aus psychologischer Sicht kommt dieser Groove dadurch zustande, dass sich alle Beteiligten an einem gemeinsamen Puls (z. B. einem Taktschlag) orientieren. Dieses Phänomen der wechselseitigen Anpassung nennt man Entrainment: Die Körperrhythmen (Herzschlag, Atmung, Bewegungen) passen sich teilweise an den externen Beat an (Large, 2000).

Wer sich schon einmal in einer Gruppe bewegt oder gemeinsam Musik gemacht hat, kennt das: Auf einmal scheint sich die Energie aneinander anzugleichen, und es fühlt sich an, als würde die Gruppe „eins“ werden.

Gemeinsamer Puls und Wir-Gefühl
Das Einschwingen auf einen gemeinsamen Rhythmus fördert nicht nur Synchronität, sondern auch ein starkes Miteinander.

Studien zeigen, dass Menschen bei gleichförmigen Bewegungen prosozialer und kooperativer reagieren – das berühmte Wir-Gefühl (Tarr, Launay, & Dunbar, 2016).

In der Musik kann das bedeuten, dass ein gut eingespieltes Ensemble mit minimalen Zeichen perfekt abgestimmte Übergänge schafft. Beim Tanzen oder Sport wirkt sich die synchronisierte Bewegung positiv auf die Gruppendynamik und Motivation aus.

Persönliche Nuancen und individueller Ausdruck
Gleichzeitig hat jeder Mensch einen ganz eigenen Stil. Selbst beim selben Lied entsteht bei zwei verschiedenen Musikerinnen oder Tänzerinnen eine andere „Färbung“ oder Betonung. Laut Timo Fischinger (2012, S. 44–47) tragen diese feinen Abweichungen – z. B. leichte Verzögerungen (Vor- oder Nachschläge) – wesentlich zur Lebendigkeit und Vielfalt eines gemeinsamen Rhythmus bei. Solange sich diese individuellen Nuancen in einem vertretbaren Rahmen bewegen, beleben sie den gemeinsamen Groove. Überschreiten sie jedoch ein bestimmtes Maß (etwa jemand spielt ständig deutlich zu spät), kann dies zu Spannungen führen und den Flow der Gruppe stören


Beim gemeinsamen Musizieren oder Tanzen ist Rhythmus ein zweischneidiges Schwert:

  • Einerseits verbindet er die Gruppe und lässt einen begeisternden Groove entstehen

  • andererseits besitzt jede*r Einzelne immer einen persönlichen Ausdruck.

Dieses Spiel zwischen harmonischer Einheit und individueller Variation macht den Reiz vieler musikalischer und tänzerischer Erlebnisse aus.

Literatur (APA)
Clayton, M., Dueck, B., & Leante, L. (2020). Experience and Meaning in Music Performance. Oxford University Press.

Fischinger, T. (2012). Zur Psychologie des Rhythmus. Kassel: Universitätsverlag Kassel.

Hannon, E. E., & Trehub, S. E. (2005). Tuning in to musical rhythms: Infants learn more readily than adults. Proceedings of the National Academy of Sciences, 102(35), 12639–12643.

Large, E. W. (2000). On synchronizing movements to music. Human Movement Science, 19(4), 527–566.

Large, E. W., & Kolen, J. F. (1994). Resonance and the perception of musical meter. Connection Science, 6(2–3), 177–208.

Palmer, C., & Lidji, P. (2013). The Beat and the Brain: Distinguishing Meter and Rhythm in Musical Perception. In L. Arbib (Hrsg.), Language, Music, and the Brain (S. 207–232). MIT Press.

Phillips-Silver, J., & Trainor, L. J. (2005). Feeling the beat: Movement influences infant rhythm perception. Science, 308(5727), 1430.

Spitzer, M. (2014). Musik im Kopf: Hören, Musizieren, Verstehen und Erleben. Stuttgart: Schattauer.

Tarr, B., Launay, J., & Dunbar, R. I. M. (2016). Silent disco: dancing in synchrony leads to elevated pain thresholds and social closeness. Evolution and Human Behavior, 37(5), 343–349.

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